,,Warum bist du so normal?“

,,Warum bist du so normal?''

Anstatt eines Bildes von Elon Musk... Copyright: Institut der deutschen Wirtschaft

,,Verrücktheit‘‘ lautet das Thema, was passt da besser als die sogenannte ,,Schizophrenie‘‘? Nico, 21 Jahre alt, Abiturient, hat Schizophrenie. Zumindest sagen das seine Arztzeugnisse. Aber was an Nico ist verrückt?

Es stimmt schon, Nico fällt auf. Wenn ihm danach ist, streckt er sich mitten auf dem Marktplatz behaglich aus, so als wäre der Pflasterboden ein Südseestrand. Es kommt vor, dass man mit Nico gerade in ein existenzielles Gespräch vertieft zu sein meint, und plötzlich rennt er mitten im Satz davon und klettert auf den nächsten Baum. Für mich, der ich weiß, dass Nico Patient in der psychiatrischen Klinik ist, in der ich mein Psychologiepraktikum absolvierte, ist klar, wie ich derlei abweichendes Verhalten zu bewerten habe: Es handelt sich um Symptome, die beweisen, dass Nico die Diagnose ,,Schizophrenie‘‘ zu Recht erhalten hat.

Schon während ich die letzten Zeilen niederschreibe, melden sich erste Zweifel. Was ich nämlich bisher verschwiegen habe: Nicos ,,verrücktes‘‘ Verhalten besitzt durchaus charismatische Qualitäten. Wie oft ich mir schon den Mut gewünscht habe, auf die Meinungen anderer Leute zu pfeifen und einfach zu tun, wonach mir ist! Wie oft ich im Gespräch eine Bemerkung so lang abwäge, bis ich sie am Ende für unaussprechlich halte! Im Gegensatz zu mir scheint Nico sich um das, was andere von ihm denken, nicht zu scheren. In gewisser Weise wirkt er befreit. So kommt es, dass ich in Nicos Gesellschaft immer wieder unfreiwillig den Eindruck bekomme, ein psychisch Kranker habe mir in Sachen Selbstverwirklichung so manches voraus. Ein Mitpatient brachte es auf den Punkt: ,,Du machst, was du willst, du solltest Künstler werden.‘‘, sagte er zu Nico, der gerade den Brunnenpfeiler erklommen hatte. In der Stimme des Mitpatienten schwang Bewunderung. Anders als Nico studierte er tatsächlich Kunst, ohne jedoch das schillernde Verhalten zu beherrschen, das nach seiner Auffassung einen guten Künstler ausmachte.

Die entscheidende Frage lautet nicht mehr: Warum bist du so verrückt? Sondern: Warum bist du so normal?

Denn Verrücktheit ist in Mode. Wir jubeln Rammstein zu, wenn sie auf der Bühne Sadomasochismus, Nekrophilie und Anthropophagie (zu Deutsch: Kannibalismus) zelebrieren. Erst vor Kurzem erzielten sechs Haare von Kurt Cobain auf einer Versteigerung einen Wert von 12.000 Euro1, sein Konterfei schmückt noch immer die T-Shirts und Zimmer zahlloser Teenager, aber würde sich heute noch jemand für Nirvana, geschweige denn Kurt Cobain interessieren, wenn diese Symbole nicht auf ewig mit der tragischen Geschichte seines Suizids assoziiert wären?

Verrücktheit kann sich sogar wirtschaftlich auszahlen. Der Erfolg von Tesla geht nur zu einem verschwindend geringen Teil auf die eigentlichen, aber doch eher trockenen technischen Details zurück. Leistungsstärkere Akkus und Raketenteile, die nun nicht mehr im Meer entsorgt werden müssen, sondern recycelt werden können, reichen noch nicht aus, um die geradezu religiöse Begeisterung nachzuvollziehen, die Tesla bzw. SpaceX bei ihren Fans auslösen.

Diese Begeisterung entsteht erst dadurch, dass Elon Musk nüchterne technische Verbesserungen auflädt mit einer emotionalen Bedeutung, die sich völlig disproportional zu ihrem objektiven Inhalt verhält. Die emotionale Valenz der Marke ,,Tesla‘‘ schafft Elon Musk, indem er sie mit der Marke ,,Elon Musk‘‘ koppelt. Seine eigene Persönlichkeit mystifiziert er bewusst, indem er das Bild des exzentrischen Genies erschafft. Wenn Musk neben der Revolutionierung des E-Verkehrs gleich auch noch die Raumfahrt (SpaceX), den öffentlichen Fernverkehr (Hyperloop) und den Menschen selbst (Neuralink) revolutionieren will, ist der Größenwahn kalkuliert. Erklärte Ziele sind die Besiedlung des Mars‘, das Verschicken von Personen per unterirdische Tunnel und die künstliche Erweiterung des Gehirns. Projekte wie diese verraten auch direkt Musks Weltbild, welches all die großen Probleme unserer Zeit – Klimawandel, soziale Ungleichheit, Populismus usw. – auf rein technische Fragen reduziert.

Seine regelmäßigen impulsiven Aktionen dienen dazu, dem Bild des besessenen Genies neue Nahrung zu geben und seinen Anhängern neue Rätsel. So twitterte er 2018, Tesla angeblich von der Börse nehmen und seinen Anlegern pro Aktie weit mehr als den handelsüblichen Preis auszahlen zu wollen. Sofort schoss der Börsenkurs von Tesla um acht Prozentpunkte in die Höhe. Kurz darauf überlegte er es sich doch anders.

Bloß die Spaßverderber von der US-Börsenaufsicht verstanden den Witz nicht, sondern stuften ihn als Börsenbetrug ein und verhängten eine Strafe von 40 Millionen Dollar. Nur die Hälfte der – wohlgemerkt allein durch sein Privatvergnügen entstandenen – Summe bezahlte Musk aus seinem Privatvermögen, die andere Hälfte nahm er aus der Kasse des Tesla-Konzerns. Zwar musste er außerdem seine Position als Chairman bei Tesla räumen, einer wie Musk lässt sich aber so leicht nicht unterkriegen: er ernannte sich daraufhin einfach selbst zum ,,Technoking of Tesla‘‘.

Bei 190 Milliarden Dollar Privatvermögen gehören derlei kostspielige Scherze sozusagen zum harmlosen Alltagsvergnügen, wohlwissend, dass seine Anhänger ihn genau dafür lieben. Loyal deuten sie noch die irrationalsten Äußerungen ihres geistigen Anführers um in Beweise für seine überlegene Weisheit. Insgeheim bewundert der prototypische Tesla-Käufer Musk für sein Chuzpé, seine Unverfrorenheit und demonstrative Unbescheidenheit. Vermutlich wäre er selbst gerne ein bisschen mehr wie Elon. In einer Zeit, in der Demut, Selbstdisziplin, Zurückhaltung und Triebaufschub vor allem als Achillesferse gelten, die dich im Wettbewerb jeder gegen jeden angreifbar macht, treffen Persönlichkeiten wie Elon Musk – oder Donald Trump – den Zeitgeist.

Manchmal scheint Musk seinen Fans geradezu den Spiegel vorzuhalten. Zuerst schürt er monatelang den Hype um Bitcoins und Dogecoins – eine bizarre Kryptowährung aus Japan, die Hundefotos mit Kapitalwert auflädt – und treibt deren Aktienwert in schwindelerregende Höhen. Ein paar Monate später bringt er in einem versuchten Comedy-Sketch in der Saturday Night Life Show als ,,Finanzexperte‘‘ die Dogecoins in Misskredit und gibt sich völlig überrascht, als daraufhin deren Aktienkurs in den Keller stürzt und all jene gar nicht amüsiert sind, die dem Finanzexperten Glauben geschenkt und sehr viel Vermögen in die Dogecoins gesteckt haben. Noch erhellender dürfte für viele Bewunderer die Erfahrung gewesen sein, wie das war, als sie dem Versprechen des Technoking Glauben schenkten, Tesla werde in Zukunft auch Bitcoins als Währung akzeptieren. Nachdem sie eifrig in Bitcoins investiert hatten, teilte Musk ein paar Wochen später mit, er habe es sich übrigens anders überlegt.2

Seiner glühenden Verehrung wird das freilich keinen Abbruch tun, im Gegenteil. In Wahrheit hat Elon Musk vorausschauendes Denken nämlich keinesfalls aufgegeben. Er hat nur erkannt, dass bei seiner potenziellen Käuferschaft – allesamt mindestens obere Mittelschicht, schließlich muss man sich Verrücktheit erst einmal leisten können – flippiges Verhalten gut ankommt. Die ,,Verrücktheit‘‘ ist kalkuliert. In seiner Biographie bringt er sie denn auch direkt zu Anfang selbst ins Spiel, wenn er seinen Biographen fragt: ,,Glauben Sie, ich bin verrückt?‘‘3 Angenehme Gänsehaut bei den Tesla-Fahrern.

Denn es ist ja exakt dieses Kribbeln wohldosiert-schicker Exzentrizität, das das Fahren eines Elektroautos zum Tesla-Fahrgefühl macht.

Quellen

1) zob. (2021, 18. Mai). Strähne von Kurt Cobain für fast 12.000 Euro versteigert. https://www.spiegel.de/panorama/leute/kurt-cobain-sechs-haare-fuer-fast-12-000-euro-versteigert-a-9648682b-9a0d-4aeb-aafd-c7607e4ea659

2) Rosenbach, M. (2021). Die Kursrakete. In: DER SPIEGEL (23/2021).

3) Musk, E., Vance, A. (2015). Elon Musk: Wie Elon Musk die Welt verändert – Die Biografie. FinanzBuch Verlag.

Hat dir der text gefallen?

Dann abonnier doch einfach den HINTERSINN-NEWSLETTER!
Das geht ganz schnell: Gib deine E-Mail-Adresse ein und bestätige anschließend die Mail.
Und schon bleibst du über alle neuen Texte auf dem Laufenden!

Kommentar verfassen