Kritik der Gesellschaftskritik
Der letzte Poetry-Slam, den ich besuchte, bestätigte voll das Vorurteil, das ich über Poetry-Slams habe. Der Poet Ansgar machte seiner Heimat, dem südbadischen Freiburg, alle Ehre und trug einen Text über Regenwaldabholzung vor. Jedes Mal, wenn er den Wirtschaftsboss zu Wort kommen ließ, der das neue Staudammprojekt zu verantworten hatte, färbte Ansgar seine Stimme extra dreckig, damit auch die Langsameren im Publikum begriffen, das ist der Böse; während die Gutheit der eigenhändig an den Baum gefesselten Umweltaktivistin natürlich mit einer Stimme voll Idealismus und Reinheit und Ansgars verklärtem Blick gen Horizont einhergehen musste.
Und auf meinem vorletzten Poetry-Slam rappte ein rastalockiger Kunststudent gegen die Kälte unserer Gesellschaft, das schändliche Streben nach Geld und höherem sozialen Status an. Auf dem Höhepunkt seiner Erregung brüllte er, wir sollten doch einfach mal ausbrechen! Fremde im Zug umarmen! Bei Lust tanzen oder wenigstens die Gefühle in einem Urschrei rauslassen! Solch revolutionskitschige Bilder fanden beim Publikum (vor allem dem weiblichen) durchaus Anklang. Der Kunststudent musste dann rasch auf den letzten Zug nach Hause. Wäre seine Utopie bereits Wirklichkeit geworden, wäre der Zug vielleicht gefahren, vielleicht aber auch später oder gar nicht, je nach Lust und Laune des Lokführers. Das Kulturzentrum, das seinen pseudo-subversiven Texten eine Bühne gibt, würde geschlossen, wenn all die grauen Bürokratenspießer seinem Aufruf folgen und ,,ausbrechen‘‘ würden, weil sie auf die Verwaltung öffentlicher Gelder keinen Bock mehr hätten. Ein kaputtes Klo bliebe auf unbestimmte Zeit unrepariert. Kurz, man hätte Zustände wie in jenem Land, dessen filzige Haarmode der Kunststudent adaptiert hat.
Gesellschaftskritik war früher den intellektuellen Eliten vorbehalten, einem Sartre oder Enzensberger. Heute ist sie massentauglich. Auch der größte Konsumist hat mitbekommen, dass man Konsum irgendwie kritisch sehen muss – was ihn selbstverständlich nicht davon abhält, weiterhin in die Konsumtempel zu pilgern. Und es gibt wohl keinen, der verkünden würde: ,,Ich bin froh, dass wir alle so handysüchtig sind.‘‘. Trotzdem halten die meisten eine ernsthafte Reduktion der Chatfrequenz für übertrieben.
Kritiker und viele Kritikerinnen von Tierversuchen blühen auf in gerechter Empörung, nutzen die Gelegenheit, mit ihrer eigenen Bescheidenheit anzugeben, wenn sie wieder mal daran erinnern, dass Menschen auch Tiere sind. Die daraus gewonnenen Medikamente, wissenschaftlichen Erkenntnisse und, nicht zuletzt, Kosmetika wollen die meisten dann doch nicht missen. Was die Flüchtlingskrise betrifft, profitieren wir doppelt: Wir können uns moralisch höherwertig fühlen als Erdogan und Merkel und ihre neue Mauer, indem wir sie verurteilen und uns engagieren, und profitieren gleichzeitig von deren stabilisierender Wirkung. Und wer sich unbeliebt machen will, der bekenne sich zum Kapitalismus-Fan. Kapitalismuskritik ist schick. Und sie macht besonders viel Spaß, wenn man Smartphone, Internet, monatlich wechselnde Sneakers, Instant-Klamotten, Billigflüge und ein großes Supermarktsortiment behalten darf.
,,Der Kapitalismus lebt von seiner Kritik‘‘, wusste schon Erich Fromm und legte prompt seinen Marktrenner ,,Haben oder Sein‘‘ vor. Darin ließ er immerhin noch kein Känguru mit quäkiger Stimme über Kommunismus schwafeln. Marc-Uwe Klings Erfolgsrezept ist so simpel wie sein Humor: Er bietet seinen Käuferinnen und Käufern das angenehme Gefühl, gesellschaftskritisch zu sein, ohne ihr Hirn anschalten zu müssen.
Wir jüngste Generation von Gesellschaftskritikern sehen uns mit einem nervigen Problem konfrontiert. Ein Kritiker zu sein, verschafft einem das Gefühl, etwas Besseres zu sein, man durchschaut ja, worauf so viele andere reinfallen. Wenn aber diese ganzen anderen alles ebenso kritisch sehen, funktioniert der Alleinstellungs-Effekt nicht mehr. Wenn alle gegen Waffen, gegen Gewalt, Rassismus, Kapitalismus, Patriarchat, Klimawandel undsoweiter sind, macht es schon viel weniger Spaß.
So gesehen muss es wieder ein echtes, ursprüngliches Rebellengefühl sein, wenn Trump sagt: ,,Ich bin für das alles.‘‘
Es gibt auch Menschen, die keine Zeit haben, sich mit Gesellschaftskritik zu schmücken. In ihrer spärlichen Freizeit lesen sie viel lieber BILD, essen bei McDonald’s, gucken RTL und träumen von fetten Luxusautos und dem Lottogewinn. Während die moralisch Integren Reichtum aus Prinzip ablehnen, sind die GesellschaftsUNkritischen manchmal vielleicht ehrlicher.
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